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VertrauenstattAngst

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* Please find English Version below

Nicht die Angst ist das Problem, sondern das Gedankenkreisen, das Grübeln, das ständige Ausmalen dessen, was alles passieren könnte.“

Lars Ausza, Psychologe

Sie ist ein ständiger Begleiter in unserem Leben. Sie lässt uns vor etwas davonlaufen, macht uns wütend oder gar panisch, sie lähmt uns und verhindert oft allzu mutige Schritte. Aber sie hilft uns auch, macht uns aufmerksam und vorsichtig und warnt uns vor Gefahr. Sie verhindert manchmal Schlimmes… 
…und doch mögen wir sie eigentlich nicht, die Angst.

Daher gestalten wir unseren Alltag in einer Art und Weise, dass wir möglichst wenig mit Angst umgehen müssen. Wir haben meist geregelte Tagesabläufe, bewegen uns oft in vertrautem Umfeld und umgeben uns überwiegend  mit bekannten Menschen. Und doch gibt es immer wieder Situationen, meist unvorhergesehene, in denen wir Angst haben. Angst vor einer Umgebung, Angst vor einem Menschen, Angst vor oder in einer bestimmten Situation. Oft hilft uns gerade dann das Vertraute, das Geregelte, das Bekannte, unsere Familie und unsere Freunde, um mit dieser Angst umzugehen. 

Auf unserer Reise ist das nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich. Wir begeben uns immer wieder an neue Orte und in unbekannte Kulturen, sind mit unserer Familie und unseren Freunden nur per Telefon oder Internet verbunden und von einem geregelten Tagesablauf sind wir meilenweit entfernt. Ich finde mich auf dieser Reise sehr viel öfter als zuhause in Situationen wieder, in denen ich mich meiner Angst stellen, mit ihr umgehen muss. Daher ist dieser Artikel kein klassischer Reisebericht. Ich möchte verschiedene Situationen während der letzten Monate schildern, in denen ich Angst empfand und ich möchte beschreiben, wie ich mit dieser Angst umging (oder eben auch nicht). Denn auch dies ist Teil unserer Reise. Die Angst gehört zum Reisealltag in gewisser Weise mit dazu, auch wenn dies zwischen tollen Fotos, aufregenden Instagram-Beiträgen und spannenden Erlebnisberichten nur wenig oder gar nicht thematisiert wird.

1. Situation: Übernachtung im Ungewissen
Einfach an einem schönen Ort mitten im Nirgendwo das Wohnmobil parken, den Sonnenuntergang in der totalen Einsamkeit genießen, bei einem Lagerfeuer die Sterne beobachten… das ist der Traum fast aller, die mit ihrem fahrbaren Zuhause unterwegs sind. Es gibt allerdings auch immer wieder schöne Orte mitten im Nirgendwo, bei welchen ein ungutes Gefühl aufkommt. Sind wir hier in der Nacht sicher? Kommen hier vielleicht zwielichtige Gestalten in der Nacht vorbei? Gab es hier schon Raubüberfälle?
Letztendlich bleibt uns oft nur das Bauchgefühl, auf das wir immer besser hören lernen. Wenn sich bei einem Mitglied der Familie ein ungutes Gefühl breitmacht, fahren wir weiter und suchen uns einen anderen Übernachtungsplatz. In diesem Fall würde ich noch nicht von Angst sprechen…
Etwas ganz anderes ist es, als wir am Rande eines Nationalparks unweit der Vikos-Schlucht unsere erste Nacht in Griechenland verbringen. Wir kommen am frühen Abend an einem kleinen Parkplatz neben einem Informationszentrum an und machen noch einen kleinen Spaziergang, um die schöne Gegend zu erkunden. Durch die grauen Wolken wird es noch schneller dunkel. Nun sind wir komplett alleine. Als die Kinder schon schlafen, bemerken wir einen Pick-up, der den einsamen Weg langsam in unsere Richtung fährt. Etwa 50 Meter entfernt hält er am Straßenrand an, löscht alle Lichter des Wagens und schaltet den Motor aus. Niemand steigt aus. Nichts passiert. 
Erst ist es ein mulmiges Gefühl, dann macht sich Angst bei uns breit. Was will der Kerl oder sind es mehrere? Sind alle Türen abgeschlossen? Was machen wir, wenn wir überfallen werden? Könnten wir im Notfall schnell losfahren? 
Irgendwann wird es uns zu lästig, dauernd zu dem Auto hinüberzuschauen. Wir beschließen, dass schon alles gut gehen wird. Wir beschließen, einfach Vertrauen zu haben…
Nach mehr als 2 Stunden fährt das Auto einfach wieder weg und wir sind wieder alleine. Und wir verbringen eine absolut ruhige Nacht am Rande des Nationalparks.

2. Situation: Kranksein in der Ferne
April 2021. Seit einer Woche war ich aus meinem alten Job raus und es lagen 2 Monate vor mir, in welchen unser Wohnmobil fertig renoviert, unsere Wohnung entrümpelt, alle Sachen gepackt und alles ausgeräumt werden musste. Ein straffer Zeitplan bis zum Start unserer großen Reise. Doch es kam anders. Kopfschmerzen in der Stirnhöhle, die einfach nicht besser wurden. Auf zum Arzt… und dann ab ins Krankenhaus. Polypen in den Nasenneben- und Stirnhöhlen. Die OP legte mich erst mal für ganze 3 Wochen lahm. Und das, nachdem ich erst ein Jahr zuvor das Ganze schon einmal über mich ergehen lassen musste.
Nun ist es fast ein Jahr später, wir sind unterwegs  im Nord-Osten von Griechenland und auf dem Weg in die Türkei. Ich verspüre ein Ziehen in der Stirn. Sofort ist sie da, die Angst. Was, wenn die Polypen schon wieder nachgewachsen sind? Was, wenn ich eine weitere OP benötige? Muss ich dann schnell nach Deutschland oder lege ich mich so weit weg von Zuhause und deutschen Medizinstandards in Griechenland oder der Türkei unters Messer? Und was machen Manu und die Kinder, falls ich wochenlang ausfalle?
Ich grübele vor mich hin, bin schlecht gelaunt, introvertiert und zu nichts zu gebrauchen. Manu spürt, dass etwas nicht stimmt. Sie fragt immer wieder, was mit mir los ist, aber ich sag ihr eine ganze Weile Zeit nichts… 
Erst nach einigen Tagen spreche ich mit ihr und bin sofort erleichtert, meine Ängste mit ihr teilen zu können. Dann, 2-3 Tage später, geht das Ziehen langsam wieder weg. Glück gehabt. Aber auch einige wertvolle Reisetage „verschenkt“, da ich versucht habe, mit der Angst alleine klarzukommen.
 

Es gibt noch viele weitere Situationen und Themen, die mich beunruhigen, mir Sorgen bereiten. Was würden wir zum Beispiel tun, wenn unser fahrbares Zuhause einen Motorschaden hat? Was, wenn wieder eine Undichtigkeit vorkommt und ein weiterer Wasserschaden entsteht?  Dieses Gegrübel würde ich als Vorstufe zur Angst beschreiben, als Sorgen. Keineswegs verspüre ich hier eine konkrete Angst wie ich sie in den beiden oben beschriebenen Situationen empfunden habe.
 

Mein Fazit:
Besonders auf einer solchen Reise entstehen immer wieder Situationen, die unbekannt sind, bei welchen das vertraute Umfeld fehlt. (Genau aus diesem Grund machen wir ja auch eine solche Reise.) Ich merke, dass hieraus Sorgen und Ängste  entstehen, die mich manchmal zum Grübeln bringen. Ich male mir ewig aus, was alles passieren könnte. Diese ständige Grübelei ist es, die mich lähmt und mir extrem viel Energie raubt. Ich habe aber auch gelernt, wie ich diesen Situationen begegnen kann, um mit der Angst klarzukommen: 
Erstens ist es wichtig, die Angst offen auszusprechen. In meinem Fall mit Manu, oft auch mit den Kindern. Wenn schnell etwas geändert werden kann, um die Situation zu verbessern, dann einfach machen! 
Zweitens: Vertrauen. Darauf vertrauen, dass alles gut gehen wird. Darauf vertrauen, dass die meisten Menschen freundlich und hilfsbereit sind. Darauf vertrauen, das wir uns auf unser Bauchgefühl verlassen können. Vertrauen, ohne leichtsinnig zu werden.
Schließlich empfinde ich es als äußerst wertvoll, meine Angst auf dieser Reise besser kennenzulernen, gerade weil wir uns täglich ins Unbekannte stürzen. Denn ohne diese Bereitschaft, die Komfortzone immer wieder zu verlassen, würden mir viele neue Erfahrungen, aufregende Orte und vielfältige Begegnungen verschlossen bleiben. Und nicht zuletzt bin begegne ich sogar immer wieder mir selbst.

English Version:

It’s not the fear that’s the problem, it’s the mind spinning, the brooding, the constant imagining of what could happen.“

Lars Ausza, Psychologist

It is a constant companion in our lives. It makes us run away from something, makes us angry or even panic, it paralyzes us and often prevents us from taking all-too-brave steps. But it also helps us, makes us attentive and careful and warns us of danger. It sometimes prevents bad things from happening…
…and yet we don’t really like it, fear.

Therefore, we arrange our everyday life in a way that we have to deal with fear as little as possible. We usually have regular daily routines, often move in familiar surroundings and surround ourselves mainly with familiar people. And yet there are always situations, usually unforeseen ones, in which we feel fear. Fear of an environment, fear of a person, fear of or in a certain situation. Often just then the familiar, the regular, the known, our family and our friends help us to deal with this fear.

On our journey, this is not possible or only possible to a very limited extent. We keep going to new places and to unfamiliar cultures, we are only connected to our family and friends by phone or via internet and we are miles away from a regular daily routine. On this trip I find myself much more often than at home in situations where I have to face my fear, to deal with it. Therefore, this article is not a classic travel blog post. I want to describe different situations during the last months in which I felt fear and I want to describe how I dealt with this fear (or how I did not deal with it). Because this is also part of our journey. Fear is part of everyday travel in a certain way, even if this is little or not addressed at all between great photos, exciting Instagram posts and exciting experience reports.

1st situation: Overnight stay in the unknown
Simply parking the motorhome in a beautiful spot in the middle of nowhere, enjoying the sunset in total solitude, watching the stars over a campfire… this is the dream of almost everyone who travels with their mobile home. However, there are always beautiful places in the middle of nowhere, where an uneasy feeling arises. Are we safe here at night? Do strange characters pass by here at night? Have there already been robberies here?
In the end, we are often left with only our gut feeling, which we are learning to listen to more and more. If a member of the family gets a bad feeling, we move on and look for another place to spend the night. In this case, I would not yet speak of fear….

It is something completely different when we spend our first night in Greece at the edge of a national park not far from the Vikos Gorge. We arrive in the early evening at a small parking lot next to an information center and take a short walk to explore the beautiful area. Through the gray clouds it gets dark even faster. Now we are completely alone. When the children are already asleep, we notice a pickup truck driving slowly down the lonely road in our direction. About 50 meters away he stops at the side of the road, turns off all the lights of the truck and switches off the engine. No one gets out. Nothing happens.
First it’s a queasy feeling, then fear spreads through us. What does this guy want, or is it more than one? Are all the doors locked? What do we do if we get mugged? Could we leave quickly in an emergency?
At some point it becomes too tiresome for us to keep looking over at the car. We decide that everything will be fine. We decide to just have faith….
After more than 2 hours the car just drives away and we are alone again. And we spend an absolutely quiet night at the edge of the national park.

2nd situation: Being sick & away from home
April 2021. I had been out of my old job for a week and now had 2 months to finish renovating our motorhome, declutter our apartment, pack all the stuff and clear everything out. A tight schedule until the start of our big trip. But things turned out differently. Headaches in the sinus cavity that just didn’t get better. Off to the doctor… and then off to the hospital. Polyps in the sinuses and frontal sinuses. The operation paralyzed me for 3 weeks. And that, after I had to go through the whole thing only one year before.
Now it is almost a year later, we are on the road in the north-east of Greece and on our way to Turkey. I feel a tugging in my forehead. Immediately it is there, the fear. What if the polyps have already grown back? What if I need another operation? Do I have to go to Germany quickly or do I go to a hospital in Greece or Turkey, so far away from home and so far away from German medical standards? And what will Manu and the children do if I am not available for weeks?
I brood, am in a bad mood, introverted and not good for anything. Manu senses that something is wrong. She keeps asking what’s wrong with me, but I don’t tell her anything for quite a while….
Only after a few days do I talk to her and am immediately relieved to be able to share my fears with her. Then, 2-3 days later, the pain slowly goes away. I am just relieved. But I also realise that I have wasted some valuable travel days as I tried to deal with the anxiety on my own.

There are many more situations and issues that worry me, make me anxious. For example, what would we do if our mobile home had engine trouble? What if another leak occurred and more water damage occurred? I would describe this brooding as a precursor to fear, I would describe it as worrying. In no way do I feel a concrete fear here as I did in the two situations described above.

My conclusion:
Especially on a journey like this, there are always situations that are unfamiliar(exactly for this reason we make such a journey). I notice that worries and fears arise from this, which sometimes make me brood. I am constantly imagining what could happen. This constant brooding is what paralyzes me and takes away an extreme amount of energy. However, I have also learned how to better face these situations in order to cope with my fear:
First, it’s important to talk about the fear openly. In my case with Manu, often with the children as well. If something can be changed quickly to improve the situation, just do it!
Second, trust. Trust that everything will work out. Trust that most people are friendly and helpful. Trust that we can rely on our gut feeling. Trust without becoming reckless.
Finally, I feel it is extremely valuable to get to know my fear better on this journey, precisely because we plunge into the unknown every day. Because without this willingness to leave my comfort zone again and again, many new experiences, exciting places and great encounters would remain closed to me.
And last but not least, I even meet encounter again and again.