* Please find English Version below *
Mit geübtem Griff nimmt er den Teekessel vom Ofen, der in der Mitte des Zimmers steht. Alles in dem kleinen Teehaus ist auf diesen Ofen, der regelmäßig mit Holz befeuert wird, ausgerichtet. Es gibt drei Tische, an denen Gäste auf Stühlen und Bänken sitzen. Neben dem Holzofen steht außerdem ein gemütliches Sofa. Unter dem Ofen genießt eine Katze die Wärme des Holzfeuers. Auf einer Theke in der rechten hinteren Ecke des Raumes sind 15 Teegläser auf weißen Porzellanuntertellern in einer perfekten Linie aufgereiht. Jedes Einzelne wurde zuvor bereits mit kochendem Wasser ausgeschwenkt. Nun wird ein Glas nach dem anderen zügig zu etwa zwei Dritteln mit türkischem Çay gefüllt. Dann wird heißes Wasser nachgeschenkt, bis das kleine Glas voll ist. Alle Bewegungen sind eingespielt, wurden bereits tausende Male durchgeführt. Schließlich verteilt er den Tee an seine Gäste.
Dies ist die Geschichte von unserem Besuch bei Yasar, dem Teebauern, dem Betreiber eines kleinen Teehauses, dem Gastronom, dem Geschichtenerzähler, dem YouTuber.
Georgien ist für uns nun zum Greifen nah. Von Artvin, einer Stadt in Nordostanatolien, ist es nicht mehr weit zum Schwarzen Meer. An der Küste entlang sind es dann noch 45 Minuten Fahrt bis zur Grenze. In der App park4night stoßen wir auf einen weißen Traktor auf schwarzem Grund, eigentlich das Symbol für eine Übernachtungsmöglichkeit bei einem landwirtschaftlichen Betrieb. Es handelt sich hier um eine Teefarm, und die Kommentare anderer Reisender ermutigen uns dazu, den Umweg über die Bergstraße zum Besuch dieses Teebauern in Kauf zu nehmen…
Grün bewachsene Hügel und Berge. Es tropft. Vom Himmel auf unsere Windschutzscheibe, von den Zweigen der Bäume des Waldes, der uns wie ein Urwald vorkommt. Über der ganzen Szenerie hängt dichter Nebel und verleiht der Umgebung etwas Unwirkliches. Wir schrauben uns eine steile Bergstraße hoch, nachdem wir von der Regionalstraße, die am Flussufer entlangläuft, abgefahren sind.
Als wir in die Einfahrt einbiegen, erwartet Yasar uns bereits. In einen dicken Wollpullover gekleidet steht vor einer kleinen Holzhütte und hält eine kleine Kamera auf uns gerichtet. Nach einer kurzen Begrüßung zeigt er uns den für unser großes Gefährt einzig möglichen Parkplatz, filmt unser Parkmanöver und macht dann eine einladende Geste in Richtung der Holzhütte. In etwas gebrochenem Englisch zeigt er uns voller Stolz sein Café oder eher sein Teehaus. Dann erklärt er, dass er noch etwas zu erledigen habe und überträgt uns die Verantwortung für das Café. Und nur 10 Minuten nach unserer Ankunft sitzen wir alleine in der gemütlichen Teestube, während es draußen zu regnen beginnt.
Etwa eine Stunde später kommt Yasar zurück. Er hat seine Frau und seinen knapp ein Jahr alten kleinen Sohn abgeholt. Er feuert den Holzofen an, setzt Wasser auf und kocht Tee. Wenig später sitzen wir, jeder einen Çay in der Hand, auf dem Sofa am Herd und Yasar beginnt zu erzählen:
Er ist hier in der Gegend geboren und aufgewachsen. Und wer hier aufwächst, wächst automatisch mit dem Teeanbau auf. Diese Region ist die Teekammer für die Türkei.
Irgendwann entscheidet Yasar, dass er nicht nur Tee anbauen will, sondern er eröffnet auch ein Café an der durch diese Region führende Hauptstraße. Das Café läuft gut, denn Yasar ist ein geborener Gastronom. Irgendwann bekommt er Besuch von Vertretern der lokalen Regierungspartei. Diese informieren ihn darüber, dass er sein Café aus für ihn (und für uns) unerfindlichen Gründen nicht mehr betreiben darf. Eine schwierige Zeit beginnt. Er zieht sich ins Bergdorf jenseits der Hauptstraße zurück, auch hier eröffnet er ein kleines Café, welches er allerdings durch einen Brand verliert. Quasi zeitgleich stirbt dann auch noch sein Vater. Es kostet ihn einiges an Kraft, bis er den Mut aufbringt, dieses neue Holzhaus zu bauen und seinen Besuchern wieder Tee anzubieten.
In den nächsten beiden Tagen lernen wir viel von Yasar. Er zeigt uns seine Teeplantage, sowie einige noch unbewachsene Hügel, an welchen gerade neue Pflanzen ausgesät werden, um in drei Jahren dann seinen jährlichen Ertrag zu steigern. Denn solange dauert es, bis die Pflanzen zum ersten Mal geerntet werden können.
Die Arbeit an diesen steilen Hängen ist kräftezehrend und anstrengend. Ende Mai werden jedes Jahr die neu gewachsenen Blätter geerntet und in Säcke verpackt. Die verschlossenen Säcke werden dann den Hang hinab gerollt, auf Yasars Jeep gepackt und schließlich zu einer der vielen Teefabriken der Gegend gebracht. Dort werden die Blätter fermentiert, getrocknet und schließlich zum fertig gemahlenen Endprodukt verarbeitet.
Yasar zeigt uns außerdem seinen Lieblingsplatz, einen Wasserfall umgeben von dichtem Laubwald. Wir können gut verstehen, wie dies sein Lieblingsplatz sein kann, denn das hier ist unbändige Natur pur.
Und natürlich lernen wir auch die typischen Speisen dieser Bergregion kennen, die hauptsächlich aus Kartoffeln und Käse bestehen. Schon zum Frühstück gibt es gebackene Kartoffeln, Käse, Brot, Oliven, Tomaten und Gurken. Das kulinarische Highlight ist dabei eine dampfende Pfanne mit geschmolzenem Käse mit zuvor in Butter angebratenen Semmelbröseln: Muhlama. Sozusagen die türkische Variante des Schweizer Käsefondues. Nur halt zum Frühstück. Nicht ganz kalorienarm, aber sehr köstlich.
Während Besucher kommen und gehen, ist Yasar immer wieder mit Handy und Kamera zugange. Denn er ist sehr aktiv in den sozialen Medien und teilt Eindrücke aus seiner Teestube und seinem Leben auf seinem Instagram Kanal. Außerdem hat er eine weitere innovative Idee, denn mit seinem YouTube Kanal fasziniert er uns durch einen Perspektivwechsel: Denn er filmt keine Reisen, sondern porträtiert unter dem Motto „parkfortea“ die Reisenden, die zu ihm kommen. Auch unseren Besuch hat er hier dokumentiert.
Nach zwei Tagen heißt es für uns schließlich: Auf nach Georgien. Aber vorher steht die Begleichung der Rechnung an. Denn das leckere Frühstück, diverse Köstlichkeiten beim gemütlichen Zusammensitzen mit seinen Freunden und Bekannten am Abend und unzählige Gläser Çay sollen schließlich nicht unbezahlt bleiben.
Mehrmals während der letzten beiden Tage wollte ich bereits etwas zahlen, aber immer winkt Yasar ab und gibt mir zu verstehen, dass wir das mit dem Bezahlen beim Abschied machen. Auch ist es interessant zu beobachten, wie Freunde, Bekannte und Besucher in die Teestube kommen, um Tee zu trinken und manchmal auch etwas zu essen. Dann gehen sie wieder, ohne irgend eine Rechnung zu erhalten oder zu begleichen. Manchmal stecken sie Yasar dann wieder Geld zu. Das Prozedere ist mehr als rätselhaft und für mich nicht zu ergründen…
Am Morgen unserer Abfahrt frage ich Yasar erneut, wieviel ich ihm schulde. Er grinst nur und sagt:
Du entscheidest!“
English Version:
With an often practiced motion, he takes the tea kettle from the stove that stands in the middle of the room. Everything in the small teahouse is oriented toward this stove, which is regularly fired with wood. There are three tables where guests sit on chairs and benches. There is also a cozy sofa next to the wood stove. Under the stove, a cat enjoys the warmth of the wood fire. On a counter in the back right corner of the room, 15 tea glasses are lined up in a perfect line on white porcelain saucers. Each one has already been poured out with boiling water beforehand. Now, one glass after another is briskly filled about two-thirds full with Turkish Çay. Then hot water is added until the small glass is full. All the movements are rehearsed, have been done thousands of times. Finally, he distributes the tea to his guests.
This is the story of our visit to Yasar, the tea farmer, the operator of a small tea house, the storyteller, the YouTuber.
Georgia is within reach for us. From Artvin, a town in northeastern Anatolia, it’s not far to the Black Sea. It’s another 45-minute drive along the coast to the border. In the app „park4night“, we come across a white tractor on black background, the symbol for an overnight stay at a farm. This is a tea farm, and the comments of other travelers encourage us to take the detour over the mountain road to visit this tea farmer…
Green covered hills and mountains. It is dripping. From the sky onto our windshield, from the branches of the trees of the forest, which seems to us like a jungle. Dense fog hangs over the whole scenery, giving the surroundings something unreal. We wind our way up a steep mountain road after leaving the regional road that runs along the riverbank.
As we turn into the driveway, Yasar is already waiting for us. Dressed in a thick woolen sweater, he stands in front of a small wooden hut and holds a small camera pointed at us. After a short greeting he shows us the only possible parking place for our big vehicle, films our parking maneuver and makes an inviting gesture towards the wooden hut. In somewhat broken English he proudly shows us his café or rather his tea house. Then he explains that he still has to do something and gives us the responsibility for the café. And only 10 minutes after our arrival we are sitting alone in the cozy tea room while it starts to rain outside.
About an hour later, Yasar returns. He has picked up his wife and his about one year old little son. He fires up the wood stove, puts on water and makes tea. A little later, we are sitting on the sofa by the stove, each holding a Çay, and Yasar begins to talk:
He was born and raised here in the area. And anyone who grows up here automatically grows up with tea cultivation. This region is the tea chamber for Turkey.
At some point, Yasar decides that he not only wants to grow tea, but he also opens a café on the main road that runs through this region. The café does well, as Yasar is a born restaurateur. At some point, he gets a visit from representatives of the local political party. They inform him that he is no longer allowed to run his café for reasons he (and we) don’t understand. A difficult time begins. He retreats to the mountain village, where he also opens a small café, but loses it in a fire. Almost at the same time, his father dies. It takes a lot of strength for him to find the courage to build this new wooden house and offer tea to his visitors again.
In the next two days we learn a lot from Yasar. He shows us his tea plantation, as well as some still unvegetated hills on which new plants are being sown in order to increase his annual yield in three years. Because that is how long it takes for the plant before the tea leaves can harvested for the first time. The work on these steep slopes is strenuous and exhausting. At the end of May each year the newly grown leaves are harvested and packed into bags. The sealed bags are then rolled down the slope, packed onto Yasar’s jeep and finally taken to one of the many tea factories in the area. There, the leaves are fermented, dried, and finally processed into the final ground product.
Yasar also shows us his hidden plan, a waterfall surrounded by dense deciduous forest. We can well understand how this can be his favorite, because this is pure unbridled nature.
And of course we also get to know the typical food of this mountain region, which mainly consists of potatoes and cheese. For breakfast we have baked potatoes, cheese, bread, olives, tomatoes and cucumbers. The culinary highlight is a steaming pan of melted cheese with breadcrumbs previously fried in butter: Muhlama. This is the Turkish version of the Swiss cheese fondue. Only for breakfast. Not quite low in calories, but very delicious.
While visitors come and go, Yasar is always busy with his cell phone and his camera. That’s because he’s very active on social media and shares impressions from his tea room and his life on Instagram. He also has another innovative idea, because with his YouTube channel he fascinates us with a change of perspective: because he doesn’t film his travels, but under the hashtag „parkfortea“ he portrays travelers who come to him. He also documented our visit here.
After two days, it’s finally time for us to leave for Georgia. But before that, we have to settle the bill. After all, the delicious breakfast, various delicacies at the cozy get-together with his friends and acquaintances in the evening and countless glasses of Çay should not remain unpaid.
Several times during the last two days I already wanted to pay something, but always Yasar waves me off and makes me understand that we will worry about the payment at our departure. It is also interesting to observe how friends, acquaintances and visitors come to the tea room to drink çay and sometimes also to eat something. Then they leave without receiving or paying any bill. Sometimes they slip Yasar money. The procedure is more than mysterious and for me not to understand…
On the morning of our departure I ask Yasar again how much I owe him. He just grins and says:
You decide!“